„Die Härte muss von der Straße kommen“

Tim Zühlke aus Erfurt hat mit Jahresbeginn die Arbeit als Bundestrainer Bahn Ausdauer für den Elitebereich der Männer übernommen. In nachfolgendem Interview erzählt der 42-Jährige wie er mit seiner Mannschaft in zwei Jahren bei den Olympischen Spielen nach Edelmetall greifen will. 

Seit Jahresbeginn sind Sie Elite-Trainer in Bahn-Ausdauerbereich. Wie waren die ersten Arbeitswochen?
Wir haben die ersten Trainingseinheiten auf Mallorca absolviert. Das bestand in erster Linie aus Grundlagentraining, um eine Basis zu schaffen. Daneben gab es viele Gespräche mit den einzelnen Athleten, um mir einen Überblick zu verschaffen, um gemeinsame Ziele zu erörtern, die Jahresplanung festzulegen.

Was hat sich verändert?
Der Aufwand in der Eliteklasse ist um ein Vielfaches höher als bei den Junioren, weil im Nachwuchsbereich sehr viel über die Heimtrainer gemacht wird. Viele Dinge, die dort geplant und umgesetzt werden, liegen jetzt in meiner Hand. Im Elitebereich gibt es auch mehr gemeinsame Trainingseinheiten und Lehrgänge. Das muss geplant und umgesetzt werden. Man sieht sich öfter. Künftig wollen wir versuchen, auch teamübergreifend zu arbeiten, das heißt, dass man sich auch mit dem Frauen- oder U23-Trainer noch mehr abstimmt und mit der FES (Anmerkung: Forschungs-und Entwicklungsstelle Berlin für die Rennmaschinen) zusammenarbeitet.

Sven Meyer ist es in zehn Jahren nicht gelungen, bei einer WM oder bei Olympischen Spielen eine Medaille mit dem Vierer zu gewinnen. Was wollen Sie anders machen?
Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass die Weltspitze in den letzten Jahren immer enger zusammengerückt ist, was es nicht einfacher macht, eine Medaille bei internationalen Wettkämpfen zu erzielen. Ich habe eine andere Philosophie als Meyer und denke, dass ich als Juniorentrainer eine gute Trainingsmethodik entwickelt habe. Obwohl man im Nachwuchsbereich nicht so kontinuierlich arbeiten kann wie in der Eliteklasse, weil man jedes Jahr neue Fahrer bekommt, wenn die älteren Jahrgänge in die Männerklasse wechseln. Ich denke, der Hauptunterschied zu Meyer ist, dass er ein hervorragender Trainingswissenschaftler ist, viel mit Zahlen und Messwerten gearbeitet hat, und ich eher der Praktiker bin. Ich werde viel ausprobieren, weil ich der Meinung bin, dass man bei allen Messungen und Analysen das Training nicht vergessen darf.

Viele Kaderfahrer kennen Sie aus der Zeit als Juniorentrainer. Ist das ein Vorteil?
Ich denke ja, denn ich kenne sie und sie wissen, wie ich arbeite. Einige haben sich echt gefreut, als sie hörten, dass ich sie jetzt auch in der Elite betreue. Ich werde aber künftig nicht zwischen „alt“ und „jung“ unterscheiden. Bei mir spielt das Alter keine Rolle, sondern die Leistung des einzelnen Athleten. Ich möchte verhindern, dass die Jungen weggebissen werden, weil die Älteren um ihren Stammplatz fürchten. Alle haben die gleiche Ausgangsbasis. Wir sind ein Team, und am Ende zählt nur eins: die Leistung. Wir haben jetzt noch ein paar Tests und Lehrgänge, und dann wird sich Anfang April zeigen, wer den ersten Nations-Cup fahren wird.

Sie waren 2019 verantwortlicher Trainer der Junioren, die in Frankfurt/Oder Gold im Vierer gewonnen haben. Diese Fahrer sind jetzt alle älter geworden und stehen Ihnen jetzt im Elitebereich zur Verfügung. Wer von der Gold-Mannschaft hat die Chance, sich im Männer-Vierer zu etablieren?
Nicolas Heinrich und Tobias Buck-Gramcko haben sich ja bereits im letzten Jahr gut in Szene gesetzt, waren bei EM und WM im Einsatz. Auch Pierre Pascal Keup ist noch dabei, während sich Hannes Wilksch und Moritz Kretschy der Straße zugewandt haben.

Schließen Sie eine Kombination von Bahn und Straße aus? Also haben Fahrer, die eher Straßenrennen fahren, keine Chance auf einen Platz im Vierer?
Im Gegenteil! Ich hoffe, dass zum Beispiel Felix Groß von seinem Team die Freigabe erhält, ab und an auf die Bahn zu kommen und auch große Turniere bestreiten kann. Mit Roger Kluge läuft das seit Jahren sehr gut. Wir werden künftig sogar mehr auf der Straße fahren und daher unser Training umstellen. Ich habe im ersten Lehrgang auf Mallorca gemerkt, dass bei einigen die Belastung fehlt. Das Training muss intensiver werden. Meine Philosophie ist ganz klar: Das Training muss härter sein als der Wettkampf. Wenn die Leistung stimmt, dann kann man sich auf der Bahn den Feinschliff holen, technische Abläufe verbessern. Aber die Härte, die muss von der Straße kommen.

Haben Sie schon bestimmte junge Fahrer im Auge, die sich einen festen Platz im Team erobern könnten? 
Heinrich und Buck-Gramcko werden sich durchsetzen. Dann ist Benjamin Boos zu nennen, der körperlich die besten Voraussetzungen hat, nicht nur in den Verfolgerdisziplinen sondern auch beispielsweise im Madison. Ihn könnte ich mir in Paris vorstellen.

Im Omnium und Madison stehen mit Roger Kluge und Theo Reinhardt zwei erfolgreiche Fahrer im Kader, die aber schon ein gewisses Alter erreicht haben. Was planen Sie mit Ihnen? Mit Tim Teutenberg steht ein starkes Talent bereit für diese Disziplinen, der sich schon bei der EM 2021 bewähren konnte. Sehen Sie außer ihm weitere Fahrer, die dafür in Frage kommen?
Neben den etablierten Fahrern denke ich bei den Massenstarts an Tim-Torn Teutenberg, aber auch Malte Maschke, Moritz Malcharek oder Laurin Drescher werden ihre Chance bekommen.

Wonach entscheiden Sie, wer dann den ersten Nations-Cup bestreitet? Oder steht die Kernmannschaft schon fest?
Am 1. und 2. April gibt es eine Leistungsüberprüfung in Frankfurt/Oder. Dort kommt es in erster Linie auf Schnelligkeit an, nicht wer am schönsten über die Bahn fährt. Dort wird fast der komplette Kader anwesend sein, auch die etablierten Fahrer aus dem Tokio-Vierer wie Theo Reinhardt, Domenic Weinstein und Leon Rohde. Und eine Woche vor dem ersten Nations-Cup in Glasgow (Anmerkung: 21.-24. April) werden wir in Gent drei Tage Rennen auf der Bahn fahren. Danach steht das Team für die erste Prüfung des Jahres fest.

Was sind Ihre Ziele im ersten Jahr?
Das Motto ist ausprobieren. Wir werden viel und intensiv auf der Straße trainieren und auch mehr Rennen fahren. Das ist anders als früher. Die EM im eigenen Land ist sicher ein erster Höhepunkt, auch wenn die Bahn ganz schön tricky ist und wegen der steilen Kurven ein höheres Sturzrisiko birgt. Weil die EM und vermutlich auch die WM im Herbst noch nicht zur Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris zählt, haben wir keinen hohen Druck, können also testen und probieren und im Training einiges umstellen. Aber natürlich wollen wir trotzdem gut abschneiden.

Und langfristig? Ist eine Medaille mit dem Vierer 2024 in Paris machbar?
Der deutsche Rekord sollte fallen und daran arbeiten wir weiter. Wir orientieren uns an der Weltspitze. Das kleine Finale in Paris ist das große Ziel.

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