Der BDR und seine Olympia-Kandidaten

Am 23. Juli werden die Olympischen Spiele von Tokio eröffnet. Der Bund Deutscher Radfahrer wird in vier Disziplinen, Bahn, BMX, Mountainbike und Straße um Olympisches Edelmetall kämpfen. Hier stellen wir alle Olympia-Kandidaten des BDR vor. In der heutigen Folge präsentieren wir Simon Geschke, der ein wertvoller Helfer im Straßenrennen der Männer sein wird.

Es war ein Moment für die Ewigkeit für Simon Geschke, den treuen Adjutanten, den verlässlichen Helfer, und er ist vielen unvergesslich, auch wenn er schon über sechs Jahre zurückliegt. Es war der 22. Juli 2015, die 17. Etappe der Tour de France. Sie führte von Digne-les-Bains nach Pra Loup, und es war die große Stunde des Simon Geschke, ein Husarenritt, eine gewagte 49 Kilometer lange Alleinfahrt. Sie bescherte ihm den ganz großen Erfolg. „Das ist der schönste Tag in meinem Leben. Davon habe ich immer geträumt, als ich früher die Tour im Fernsehen geschaut habe“, sagte Geschke später nach der Siegerehrung. 

Auf dem Siegerpodest stehen, das ist für Simon Geschke eher ungewöhnlich: In seiner nun 13-jährigen Profikarriere gelang ihm das bisher nur vier Mal: 2008 holte er einen Etappensieg in der Ronde de l’Isard, 2011 beim Criterium International, er gewann den Großen Preis von Aargau und jene Tour-Etappe.

Trinkflaschen holen, Löcher zufahren, Tempo bolzen, Ausreißer zurückholen, das sind normalerweise Geschkes Aufgaben im Team. Er kann sich quälen, geht immer über die Schmerzgrenze, gibt alles. Sein Markenzeichen ist der markante Vollbart, den er ein einziges Mal nach einer verlorenen Wette abnahm, dann aber wieder wachsen ließ. Geschke achtet wie fast alle Leistungssportler sehr auf seine Ernährung. Der Berliner ist Veganer, gibt sich aber unterwegs auch mit vegetarischer Kost zufrieden. „Zuhause ist es kein Problem, sich vegan zu ernähren, aber unterwegs ist es fürs Team manchmal schwierig, entsprechend zu kochen“, weiß der 34-Jährige.

Das Radfahren wurde dem Berliner quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater Hans-Jürgen, besser bekannt unter seinem Spitznamen „Tutti“, gehörte in den 60er- und 70er-Jahren zu den weltbesten Bahnsprintern, gewann drei Weltmeistertitel und zwei olympische Medaillen. Aber Sohn Simons Leidenschaft entfachte für die Straße, besonders, nachdem er Jan Ullrich 1997 bei dessen Tour-Sieg erlebte. Da war er gerade einmal elf Jahre alt.

In der U23-Klasse feierte er erste Erfolge und wurde auch in der Nationalmannschaft eingesetzt, ehe er 2008 bei Milram als Gastfahrer sein Profidebüt gab. 2009 unterschrieb er einen Vertrag bei Skil-Shimano und sollte diesem Rennstall zehn Jahre die Treue halten. Im ersten Jahr gewann er das Trikot des besten Nachwuchsfahrers beim Étoile de Bessèges. Im Folgejahr belegte er Rang vier in der Bayern-Rundfahrt und 2011 feierte er mit einem Etappensieg beim Critérium International seinen ersten internationalen Erfolg als Profi. Aber schon bald war klar, wo Geschkes Stärken liegen, nämlich in der Teamarbeit. „Ich habe diese Rolle immer gemocht. Ich wollte nie der Fahrer sein, für den andere fahren müssen. Ich bin froh, wenn ich im Hintergrund bleiben kann. Alles andere hätte zu viel Druck, zu viel Verantwortung bedeutet“, erklärt der Berliner mit Wohnsitz in Freiburg. Persönlichen Ehrgeiz schließ das aber nicht aus: „Ich habe sicher noch das Level, in den Klassikern oder auch mal auf der einen oder anderen Etappe eine gute Rolle zu spielen und ein gutes Ergebnis einzufahren“, weiß Geschke um seine Stärken. Und er hat noch einen großen Traum: „Ich würde gern einmal Deutscher Meister werden.“

Nachdem das Team CCC 2020 seine Tore schloss, unterzeichnete er einen Vertrag beim französischen Rennstall Cofidis und hat in diesem Jahr alle Rennen an der Seite von Guillaume Martin bestritten. So auch die Tour, die er bis Paris zu Ende fuhr, dann ins Flugzeug stieg und nach Tokio flog. 

Bei Weltmeisterschaften ist Geschke seit fast einem Jahrzehnt ein wertvoller Helfer der BDR-Nationalmannschaft, bei Olympia kam er erst einmal zum Einsatz, 2016 in Rio. „Eine Olympia-Teilnahme ist für mich eine große Ehre und anders als zum Beispiel die Tour de France, weil es Sportarten übergreifend ist. Auch dass es nur alle vier Jahre stattfindet und so eine lange Geschichte hat, macht es sehr speziell und prestigeträchtig“, schwärmt Geschke, der noch gute Erinnerungen an die Spiele von Rio hat, wo er auch im Zeitfahren an den Start ging. „Ich hatte gute Form und saß beim Zeitfahren sogar zwischenzeitlich auf dem heißen Stuhl. Auch das ganze Drumherum war großartig, diese einzigartige Atmosphäre im Olympischen Dorf miterleben zu dürfen. Ein Bonus war damals auch, dass wir nach dem Rennen den Aufenthalt noch etwas verlängern konnten und uns ein wenig Brasilien anschauen konnten. Das ist ja ein Land, in das man als Radsportler eigentlich nicht hinkommt.“ Diese Möglichkeit gibt es im Tokio nicht. Trotzdem freut sich der Berliner auf die Spiele.

 

Im Porträt:

Team: Cofidis – Solutions Crédtis
Geb.: 13.03.1986 in Berlin
Größe/Gewicht: 1,70 m/64 kg
Wohnort: Freiburg
Familienstand: ledig

Erfolge:
Ets. Tour de France (2015), Ets. Criterium International (2011), Sieger GP Aargau (2014), Ets. Ronde d’Isard (2008), 1. Sprintw. Andalusien-Rdf. (2015), 1. Bergw. Polen-Rdf. (2019), 2020: 3. GW Tour Down Under, 6. GW Algarve-Rdf., 10. Fleche Wallone, neunfacher Tour-Teilnehmer, neunfacher WM-Teilnehmer

 

Simon Geschke privat

Was war für Sie Ihr bisher schönster sportlicher Erfolg?  Der Tour de France-Etappensieg 2015.
Was motiviert Sie?  Zu wissen, dass ich privilegiert bin und mit Radfahren meine Rechnungen bezahlen zu können.
Welche Vorbilder haben Sie?  Von meinen Kapitänen der letzten Jahre hab ich mir schon das ein oder andere abgeguckt, aber wirkliche Vorbilder habe ich nicht.
Was waren Ihre Lieblingsfächer in der Schule?  Alle, bei denen ich das Gefühl hatte ich könnte es später im Leben noch gebrauchen. Englisch, Französisch und Sport würde ich da sagen.
Was ist Ihr Lieblingsessen?  Pizza und Burger
Nennen Sie Ihre persönliche Stärke/Schwäche: Gelassenheit und das beste aus allen Umständen machen, ist meine Stärke, würde ich sagen. Schwächen sind, nicht immer das nötige Selbstbewusstsein zu haben und manchmal mangelnde Aggressivität bei Positionskämpfen im Rennen.
Auf was möchten Sie nie verzichten?  Meine Gitarre, meine Freundin und meinen Hund.
Welchen Traum möchten Sie sich im Leben noch erfüllen?  Glücklich sein, wenn ich alt bin.
Was ist für Sie ein perfekter Tag?  Ausschlafen, gesund sein, im Sonnenschein den Tag draußen verbringen.
Welche Überschrift möchten Sie gern einmal von sich lesen?  Simon Geschke im Deutschen Meister Trikot zur Tour de France.

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